OGH 7 Ob 99/23v: Drei (mögliche) Konsequenzen für die (Versicherungs-)Praxis

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  • Recht
Feb. 2025

Nachfolgender Beitrag wurde am 01.10.2024 in der Zeitschrift versdb print (Heft 14/2024) veröffentlicht.

Der Entscheidung OGH 7 Ob 99/23v lag folgender Sachverhalt (mit einer vier Personenkonstellation) zugrunde:

Der Beklagte als Mieter beauftragte eine Fachfirma mit dem Einbau einer Küche in seiner Mietwohnung. Die Fachfirma hat dabei an den drucklosen Speicher eine druckdichte Küchenarmatur angeschlossen. Der Untertischspeicher ist durch Überdruck geborsten, wodurch rund 3.000 Liter Leitungswasser austraten und in die Gebäudesubstanz eindrangen. Die Klägerin als Gebäudeversicherer bezahlte aus dem mit dem Vermieter abgeschlossenen (Leitungswasserschaden-)Versicherungsvertrag die Kosten für die Sanierung des Wasserschadens und machte sodann gegen den Mieter als Beklagten gestützt auf § 67 VersVG Regressansprüche geltend. Der Beklagte zahlte als Mieter die Kosten für die Leitungswasserschadenversicherung anteilig im Rahmen der Betriebskostenabrechnung.

 

Ergebnis:

Weder der Mietvertrag noch der Versicherungsvertrag sahen für den gegenständlichen Fall eine ausdrückliche Regelung/Lösung vor. Der Oberste Gerichtshof musste daher methodisch an die Sache heran.

Er verneinte – in Abkehr von seiner früheren Judikatur – letztlich die Regressmöglichkeit; dies infolge eines konkludenten Regressverzichts des Gebäudeversicherers des Vermieters im Rahmen des mit diesem abgeschlossenen Versicherungsvertrages zugunsten des Mieters betreffend die von diesem zurechenbar verursachte Schäden am Mietobjekt bei bloß leichter Fahrlässigkeit.

Die Reaktionen der Lehre auf diese Entscheidung fielen unterschiedlich aus. Jeweils (zumindest im Ergebnis) zustimmend Spadinger, EvBl 2024, 57; Höllwerth, immo aktuell 2023, 260; Vonkilch, wobl 2023, 508; Horn, immolex 2024, 60; Burtscher, JBl 2022, 123. Kritisch hingegen und sehr ausführlich zum Thema Kath, ZVers 2024, 129 ebenso kritisch Reisinger, RdW 2024, 172; siehe ferner ohne Wertung mit einem alternativen Lösungsansatz Uitz, ImmoZak 2024, 7.

Im Rahmen des hiesigen Beitrags geht es jedoch nicht um eine (weitere) Bewertung der Entscheidung, sondern es sollen vielmehr – wie eingangs erwähnt – die Entscheidungsgründe analysiert und deren (mögliche) Konsequenzen für die (Versicherungs-)Praxis aufgezeigt werden.

Drei (mögliche) Konsequenzen für die (Versicherungs-)Praxis:

Den Ausgangspunkt für die nachstehende Abhandlung bietet idealerweise die (systematische) Begründung des Obersten Gerichtshofs. Die Prüfung der Berechtigung der Regressfrage durch den Obersten Gerichtshof erfolgte dabei in drei Schritten, aus mietvertraglicher Sicht einerseits und in doppelter Hinsicht aus versicherungsvertraglicher Sicht andererseits:

 

 

 

Erste(r) Prüfungsschritt/Konsequenz:

Der mietvertragliche Ansatz, das heißt eine konkludente Haftungsbeschränkung im Mietvertrag, die zur Folge hätte, dass der Vermieter gar keine Ansprüche gegen den Mieter hätte, die daher auch nicht auf den Versicherer hätten übergehen können, wurde vom Obersten Gerichtshof verneint.

Eine mögliche (erste) Konsequenz dieser Begründung müsste sein, dass es dem Vermieter freisteht, anstatt Leistung von seinem Versicherer zu verlangen, direkt gegen den Mieter vorzugehen. (Ein bloßer Regressverzicht des Versicherers – wie ihn der OGH in der gegenständlichen Entscheidung letztlich angenommen hat [siehe sogleich] – schließt diesen direkten Anspruch des Versicherungsnehmers gegenüber seinem Schädiger nicht aus. Der Schädiger kann dem Versicherungsnehmer auch nicht entgegenhalten, er solle seinen Versicherer in Anspruch nehmen [siehe dazu OGH 7 Ob 40/07v]. IdS auch Horn, immolex 2024, 62; offenlassend Reisinger, RdW 2024, 174. Kritisch vor allem zu diesem Aspekt Kath, ZVers 2024, 134.)

Zweite(r) Prüfungsschritt/Konsequenz:

In weiterer Folge prüfte der Oberste Gerichtshof unter dem versicherungsrechtlichen Ansatz das Vorliegen einer Mitversicherung des Mieters, die zur Folge hätte, dass dieser kein Dritter iSd § 67 VersVG ist, sodass diesem gegenüber auch kein Regress seitens des Versicherers möglich wäre. Auch diesen Aspekt verneinte der Obersten Gerichtshof jedoch.

Als mögliche (zweite [versicherungsrechtliche]) Konsequenz dieser Begründung ergibt sich im Zusammenhang mit der obgenannten (möglichen) ersten Konsequenz, dass im Falle der direkten Inanspruchnahme des Mieters durch den Vermieter, der Mieter seinerseits keine Deckung dafür von der Versicherung verlangen kann. Er ist eben nicht mitversichert und daher kein Anspruchsberechtigter aus dem Versicherungsvertrag. (Siehe dazu OGH 7 Ob 40/07v. Diese Konsequenz anerkennend auch Burtscher, JBl 2022, 124, der allerdings kritisch zur Verneinung des mietvertraglichen Ansatzes durch den OGH steht.)

Dritte(r) Prüfungsschritt/Konsequenz:

Zuletzt prüfte der Oberste Gerichtshof unter dem versicherungsrechtlichen Ansatz noch das Vorliegen eines konkludenten Regressverzichts des Gebäudeversicherers des Vermieters – im Rahmen des mit diesem abgeschlossenen Versicherungsvertrages – zugunsten des Mieters.

Der Oberste Gerichtshof bejahte dies – anknüpfend an die deutsche Judikatur – für den Fall der bloß leichten Fahrlässigkeit mit der nachstehend zitierten Begründung und hat aufgrund dessen die Regressklage abgewiesen (Hervorhebungen nicht im Original):

 

[32] 2.4.1 Auch der Oberste Gerichtshof geht – aufgrund der dargestellten beachtenswerten Argumente der deutschen Rechtsprechung und der Lehre – nunmehr davon aus, dass die Auslegung des Sachversicherungsvertrags eine Einbeziehung des Sachersatzinteresses des Mieters in Form eines konkludenten Regressverzichts des Versicherers für Fälle der leichten Fahrlässigkeit ergeben kann. Geteilt werden jedoch die dargestellten methodischen Zweifel an einer ergänzenden Auslegung. Vielmehr ist die Frage, ob das Sachersatzinteresse des Mieters in die Sachversicherung des Vermieters durch Regressverzicht einbezogen wurde durch einfache Auslegung des Vertrags nach § 914 ABGB zu klären.

 

[33] 2.4.2 Auch dabei entscheidet die erkennbare Interessenlage des Eigentümers. Diese ist dadurch geprägt, dass er Auseinandersetzungen mit einem Besitzer, dem er – meist aufgrund eines Vertrags – die Sachherrschaft eingeräumt hat, vermeiden will. Wäre das Sachersatzinteresse des Mieters nicht geschützt, so wäre der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls genötigt, den Versicherer bei der Durchsetzung der auf diesen übergegangenen Ansprüche zu unterstützen, was zu einer erheblichen Belastung des Verhältnisses zum Mieter führen kann. Zudem kann ihm am Schutz des Mieters gelegen sein, weil er die Prämie (anteilig) auf diesen abgewälzt hat. Schließlich ist – vor allem bei Dauerschuldverhältnissen – das Interesse des Eigentümers hervorzuheben, eine Beeinträchtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Sachnutzers durch einen Regress des Versicherers zu vermeiden.

Dem erkennbaren und schützenswerten Interesse des Versicherungsnehmers an einem Regressverzicht wegen leichter Fahrlässigkeit stehen auch keine solchen Interessen des Versicherers entgegen, die es ihm erlaubten, sich einem Regressverzicht zu entziehen. Weder ist ersichtlich, dass der Verzicht auf die Einnahmen aus dieser Fallgruppe die Gesamtkalkulation ernsthaft gefährden, noch erhöht sich die Gefahr gegenüber der Eigennutzung im Allgemeinen. Der Schutz des Sachersatzinteresses durch Regressverzicht steht auch nicht unter dem Vorbehalt, dass zu Gunsten des Haftpflichtigen keine Haftpflichtversicherung besteht, die den Schaden deckt.

Gegen eine Subsidiarität spricht insbesondere, dass dem Haftpflichtigen (Mieter) Nachteile drohen, wenn er – etwa weil er als versicherungsrechtlicher Laie davon ausgeht, dass der Schaden von vornherein durch den Gebäudeversicherer gedeckt ist – den Haftpflichtversicherungsfall zu spät anzeigt oder wenn der Haftpflichtversicherer den Deckungsschutz zu Unrecht ablehnt und der Haftpflichtige deshalb zu einem Deckungsprozess gezwungen ist.

Zusätzlich kann es bei einem Regress des Gebäudeversicherers de facto auch dadurch zu einer Belastung des Verhältnisses von Eigentümer und Haftpflichtigem kommen, dass beim Haftpflichtigen durch die Inanspruchnahme des Haftpflichtversicherers Aufwand entsteht, oder dass eine Inanspruchnahme aus Gründen scheitert, die er sich selbst zuzuschreiben hat. Diese Belastung kann dem Eigentümer vor allem bei Dauerschuldverhältnissen nicht von vornherein gleichgültig sein. Das gilt dann, wenn er (wovon etwa bei der Versicherung durch den Vermieter in der Regel auszugehen ist) die Versicherungsprämie zumindest verdeckt auf den Haftpflichtigen abgewälzt hat. Jedenfalls, wenn diese genannten Gesichtspunkte (Dauerschuldverhältnis, Abwälzung der Prämie) hinzukommen, ist daher von einem Regressverzicht auszugehen.

[34] 3.1 Im vorliegenden Fall war die dargestellte Interessenlage der Vermieterin der Klägerin bei Abschluss des Versicherungsvertrags erkennbar. In der Versicherungspolizze war ausdrücklich angeführt, dass es sich bei dem versicherten Gebäude um „Büro-, Geschäfts- und Gastronomiebetrieb, Wohnungen“ und damit um ein „Mietshaus“ handelt, wobei ein Hinweis der Klägerin auf die am Versicherungsmarkt grundsätzlich bestehende Möglichkeit der Vereinbarung eines Regressverzichts zu Gunsten der Mieter der Vermieterin nicht feststeht. Ein redlicher Erklärungsempfänger durfte daher darauf vertrauen, dass die Klägerin jedenfalls auf Regressansprüche wegen leichter Fahrlässigkeit gegen jene Mieter, auf die ihre Versicherungsnehmerin ihre Prämien (typischerweise – vgl § 21 MRG) überwälzt, verzichtet.

[35] 3.2 Es ist daher davon auszugehen, dass die Klägerin gegenüber dem beklagten Mieter ihrer Versicherungsnehmerin auf den Regress von leicht fahrlässig verursachten Schäden (konkludent) verzichtete.“

Bedeutet diese Klagsabweisung aber letztlich, dass der Versicherer auf dem Schaden bzw den Kosten „sitzen bleibt“?

Diese mögliche (dritte) Konsequenz ist nach Ansicht der Autoren zu verneinen.

Der Versicherer ist – im konkreten Fall – vielmehr dazu berechtigt, sich bei dem vom Mieter beauftragten Werkunternehmer (Fachfirma, die mit dem Einbau der Küche beauftragt war und letztlich den Schaden verursacht hat) zu regressieren.

Die obgenannten Argumente des Obersten Gerichtshofs, namentlich das Interesse des Vermieters, Versicherers und Mieters, mit welchen der Regressverzicht gegenüber dem Mieter begründet wurde, sprechen nicht gegen die regressweise Inanspruchnahme des Werkunternehmers des Mieters. (Siehe dazu auch Burtscher, JBl 2022, 328, der den Regress des Versicherers gegenüber dem Werkunternehmer allerdings nur für den Fall der Verneinung der Haftungszurechnung des Werkunternehmers an den Mieter thematisiert.)

Würde man diesen Regressanspruch gegenüber dem Werkunternehmer hingegen verneinen, so würde letztlich die Leitungswasserschadenversicherung des Vermieters zu einer Haftpflichtversicherung des Werkunternehmers mutieren und müsste dessen Unternehmensrisiko tragen. Dies würde nicht nur zu einem unbilligen Ergebnis führen, sondern gerade dem Zweck des § 67 VersVG widersprechen, wonach verhindert werden soll, dass der Schädiger wegen des Bestehens einer Versicherung entlastet wird (RIS-Justiz RS0081373). Zudem ist der konkludente Verzicht zugunsten des Mieters einschränkend auszulegen (§ 915 ABGB) und kann nicht auch gegenüber dessen Werkunternehmer angenommen werden (siehe zu all dem auch OGH 7 Ob 40/07v).

Rechtlich basiert dieser Regressanspruch auf einer Analogie zu § 67 VersVG und stellt inhaltlich den Schadenersatz-/Regressanspruch des Mieters gegenüber seinem Werkunternehmer dar, wobei dieser Anspruch in Folge des (konkludenten) Regressverzichts des Versicherers gegenüber dem Mieter (konkludent) auf den Versicherer übergeht. (Nach § 67 VersVG gehen nur Ersatzansprüche des Versicherungsnehmers/Versicherten auf den Versicherer über (OGH 7 Ob 55/15m). Da dem Mieter – wie oben ausgeführt – diese Stellung nicht zukommt, erfolgt der Rechtsübergang seiner Ansprüche gegen den Werkunternehmer dogmatisch in analoger Anwendung des § 67 VersVG. Der Rechtsübergang könnte auch mit einer konkludenten Zession der Ansprüche des Mieters an den Versicherer quasi als Gegenleistung für dessen konkludenten Verzicht begründet werden. Redliche und vernünftige Parteien, hätten sie an die – ihnen aber unbekannte – Problematik gedacht, hätten vereinbart, dass der Versicherer zumindest zur Verfolgung der Ansprüche gegen den Werkunternehmer berechtigt sein soll (zu einer vergleichbaren Verzicht-Abtretung-Konstruktion durch ergänzende Vertragsauslegung siehe OGH 8 Ob 144/17k).

Diese Inanspruchnahme des Werkunternehmers ist ebenso im obgenannten als erste Konsequenz dargestellten Fall möglich, falls der Mieter von seinem Vermieter in Anspruch genommen wird. Auch in diesem Fall kann sich der Mieter gemäß § 1313a ABGB gegenüber dem Werkunternehmer, welcher nach der Judikatur sein Erfüllungsgehilfe ist (RIS-Justiz RS0111907; RS0125678), regressieren. Wegen dieser Gehilfenzurechnung kommt im Übrigen eine Haftung des Werkunternehmers gegenüber dem Vermieter aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0022814; RS0129705; RS0037785 [T26]). Mögliche deliktische Schadenersatzansprüche des Vermieters gegenüber dem Unternehmer scheitern in der Praxis daran, dass der Unternehmer den Schaden nicht selbst, sondern durch seine Gehilfen verursacht hat, für welche er jedoch nur nach § 1315 ABGB haftet.

Ebenso kann sich nach Ansicht der Autoren der Versicherer beim Werkunternehmer regressieren, wenn er infolge eines konkludenten Regressverzichts nicht gegenüber dem Mieter vorgehen kann.

 

Zusammenfassung der drei (möglichen) Konsequenzen:

Erste Konsequenz wegen der Verneinung der mietvertraglichen Lösung: Dem Vermieter steht es frei, anstatt seine Versicherung in Anspruch zu nehmen, direkt gegen den Mieter vorzugehen.

Zweite Konsequenz wegen der Verneinung der Mitversicherung im Rahmen der versicherungsrechtlichen Lösung bzw als Folge der Verneinung der mietvertraglichen Lösung: Der Mieter, der von seinem Vermieter in Anspruch genommen wird, kann keine Leistung von der Versicherung verlangen, ihm steht jedoch ein Regressanspruch gegenüber seinem Werkunternehmer zu.

Dritte Konsequenz wegen der Bejahung des konkludenten Regressverzichts im Rahmen der versicherungsrechtlichen Lösung: Dem Versicherer ist es, falls er von seinem Versicherungsnehmer als Vermieter in Anspruch genommen wird, nicht möglich gegen dessen Mieter vorzugehen. Dem Versicherer steht in diesem Fall jedoch ein Regressanspruch gegenüber dem Werkunternehmer des Mieters zu. Dieser Anspruch entspricht dem – als zweite Konsequenz dargestellten – Regressanspruch des Mieters gegenüber dem Werkunternehmer, falls der Mieter von seinem Vermieter in Anspruch genommen wird.

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Die Autoren vertreten seit Jahren ein namhaftes österreichisches Versicherungsunternehmen und sind täglich mit versicherungs- bzw schadenersatzrechtlichen Fragen konfrontiert.

 

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