Besonderheiten und Vorteilsausgleich im Schadenersatzrecht

  • Recht
Jul 2024

Nach den Grundregeln des Schadenersatzrechts hat der Geschädigte prinzipiell das Wahlrecht, vom Schädiger entweder faktische Wiederherstellung des vorigen Zustands (wie etwa den Austausch oder die Reparatur der beschädigten Sache) oder Geldersatz zu verlangen. Von dieser Grundregel macht die Rechtsprechung aber – je nach Lage des Einzelfalls – Ausnahmen. So kann dem Geschädigten das Recht auf faktische Wiederherstellung etwa dann versagt sein, wenn diese Wiederherstellung untunlich, also – vereinfacht gesagt – unzumutbar oder (auch nur) unwirtschaftlich wäre. Abgesehen davon hat der Geschädigte in einzelnen Fällen der Wiederherstellung im Gegenzuge eine Ausgleichszahlung an den Schädiger zu leisten oder sich einen Abzug für all jene Vorteile gefallen zu lassen, die er durch den Austausch oder Reparatur seiner Sache erlangt. Der vorliegende Beitrag soll nun – zumindest in Ansätzen und auch auf für den Rechtslaien verständliche Weise – sozusagen Licht ins Dunkel dieser Ausnahmen und Besonderheiten des Schadenersatzrechts bringen.

Grundregeln des Schadenersatzrechts:

Als erste Faustregel des Schadenersatzrechts gilt: Ersatzpflichtig ist grundsätzlich, wer einem anderen durch (schadens)kausales Handeln oder Unterlassen rechtwidrig und schuldhaft einen materiellen oder immateriellen Schaden zufügt. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesen Voraussetzungen finden Sie hier.

 

Ist ein Schadenersatzanspruch zu bejahen und ist die Wiederherstellung des vorigen Zustands (faktisch) möglich und (wirtschaftlich) tunlich, dann steht dem Geschädigten nach der Rechtsprechung – und im Sinne einer zweiten Faustregel – grundsätzlich die Wahl frei, vom Schädiger entweder die Wiederherstellung des vorigen Zustands (etwa durch Austausch oder Reparatur) oder Geldersatz zu verlangen (vgl OGH RS0112887; die Rechtsprechung geht damit vom Wortlaut des § 1323 ABGB ab, der vordergründig den Primat der Wiederherstellung normiert).

 

Indes: So simpel diese zweite Grundregel auf den ersten Blick erscheinen mag, so wenig erweist sie sich in ihrem pauschalen Proklamationsgehalt aber dann als ohne Wenn und Aber als anwendbar, wenn es darum geht, einen – in der Praxis nicht selten – komplexen Schadensfall rechtlich zu beurteilen. Denn eine vollkommene Schadenswiedergutmachung unter sturer Vollstreckung der zweiten Faustregel führte bei einzelnen Umständen – und also je nach Konstellation und Komplexität des konkreten Falls – unweigerlich zu einer Bereicherung des Geschädigten. Dass das aber ohne Zweifel über das Ziel des (auf die Wiederherstellung von gestörten Wertegleichgewichten abzielenden) Schadenersatzrechts hinausschösse, liegt auf der Hand. Damit kommen wir auch schon zum nächsten – und freilich vollkommen nichtjuristischen – Grundsatz; nämlich jenem, dass Ausnahmen bekanntlich die Regel bestätigen. Und diese Ausnahmen wollen wir uns nun im Folgenden näher ansehen.

 

Keine Naturalrestitution bei Untunlichkeit der Wiederherstellung

Das Gesetz versagt dem Geschädigten das Recht auf faktische Wiederherstellung (etwa durch Reparatur) dann, wenn diese Wiederherstellung des vorigen Zustands untunlich ist. Damit sind all jene Fälle gemeint, in denen eine solche sogenannte Naturalrestitution entweder unwirtschaftlich oder – aus Sicht des Geschädigten – auch (nur) unzumutbar ist (vgl § 1323 ABGB; vgl auch OGH RS0053254 und OGH RS0030140; vgl weiters OGH 25.06.1998, 2 Ob 147/98a).

 

Unwirtschaftlich ist eine Naturalrestitution dann, wenn – im Sinne eines (wirtschaftlichen) Totalschadens – die Wiederherstellungskosten bzw „die Reparaturkosten den Wert der Sache im Zeitpunkt der Schädigung (‚Zeitwert‘) erheblich übersteigen“ (OGH RS0030140 [T1]; vgl auch OGH RS0030534) bzw – umgekehrt ausgedrückt – „der Zeitwert […] erheblich hinter den veranschlagten Reparaturkosten zurückbleibt“ (OGH RS0030559). Eine geringfügige, also „mäßige, wirtschaftlich vertretbare Überschreitung des Zeitwertes durch die Reparatur ist jedoch unschädlich“ (RS0030534 [T1]). Ab wann bzw ab welchem Prozentsatz nicht mehr von einem bloß geringfügigen Überschreiten gesprochen werden kann, sondern (umgekehrt) ein Totalschaden vorliegt, wird in der Rechtsprechung von Fall zu Fall unterschiedlich entschieden. Ein Überschreiten des Zeitwerts um bis zu 10% dürfte aber mit hoher Wahrscheinlichkeit unproblematisch sein, wohingegen ein solches um mehr als 20 % in der Regel zur Qualifikation als Totalschaden führen dürfte.

 

Für die Bestimmung der konkreten Höhe des Zeitwerts ist in der Regel auf den Wiederbeschaffungswert der beschädigten Sache zum Zeitpunkt der Beschädigung abzustellen (vgl OGH RS0030102; vgl ebendort weiters: Unter Umständen müssen auch „erhebliche Preissteigerungen auf dem Bausektor […] beachtet werden.“).

Vorteilsausgleich bzw Abzug „neu für alt“ bei Naturalrestitution:

Erhält der Geschädigte Geldersatz für den erlittenen Schaden, so wird ihm bei gänzlichem Untergang der Sache deren Zeitwert und bei bloß teilweisem Untergang bzw (teilweiser) Beschädigung die – infolge Beschädigung eingetretene – Verminderung des Zeitwerts ersetzt. Eine solche (geldwerte) Schadensabwicklung wirft also in der Regel keine allzu großen rechtlichen Probleme und Fragen auf.

 

Wählt der Geschädigte aber Naturalrestitution, so kann es mitunter zu folgendem rechtlichen Problem kommen:

 

Wird eine gebrauchte Sache beschädigt und im Wege der Naturalrestitution entweder gänzlich durch eine neue(re) Sache ausgetauscht oder auch nur repariert, dann hält der Geschädigte letzten Endes oftmals eine neue(re) oder reparierte Sache in Händen, die wesentlich wertvoller ist, als es die zerstörte oder beschädigte – und bereits gebrauchte – unmittelbar vor deren Beschädigung gewesen war.

 

Zur Veranschaulichung folgendes Beispiel:

Werden die gebrauchten Reifen eines Fahrzeugs mit einem (restlichen) Zeitwert von € 500,00 bei einem Unfall beschädigt und infolge Naturalrestitution vom Schädiger durch neue im Wert von € 700,00 ersetzt, so erhält der Geschädigte um € 200,00 wertvollere Reifen.

 

Wie sich zeigt, kann es also im Wege der Naturalrestitution (oder der Zurverfügungstellung des Deckungskapitals) zu einer Bereicherung des Geschädigten im Ausmaß des Differenzbetrags zwischen dem Wert der neuen bzw reparierten Sache und dem Zeitwert der beschädigten Sache (im obigen Beispielfall also iHv € 200,00) kommen. Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen einer solchen (austausch- oder reparaturbedingten) Werterhöhung trägt der Schädiger (vgl OGH RS0022849 [T3]: „Ein Abzug „neu für alt“ ist nicht von Amts wegen vorzunehmen“).

 

Die Frage danach, ob und – bejahendenfalls – inwieweit der Geschädigte (unter Berücksichtigung von allen maßgeblichen Umständen) für den Einbau von neuen Ersatzteilen anstelle von beschädigten oder vernichteten Teilen einen Ausgleich zu leisten hat, ist nach den Regeln der Vorteilsausgleichung zu beantworten. Danach ist ein Vorteil, „den der Geschädigte ohne die Beschädigung nicht erlangt hätte, grundsätzlich zu Gunsten des Schädigers zu buchen, dessen Ersatzpflicht dadurch vermindert wird“ (OGH RS0022726). Zu einem vollen Reparaturkostenersatz kommt es also nur dann, wenn keine Verbesserung der beschädigten Sache herbeigeführt wird (OGH RS0030645). Ist hingegen ein Vorteilsausgleich vorzunehmen (weil die Sache eben wertvoller wurde), so ist – im Sinne des (weiteren) schadenersatzrechtlichen Grundsatzes „neu für alt“ – der Differenzbetrag zwischen dem Wert der unbeschädigten und der mit der Verwendung von Neuteilen reparierten Sache von den Schadensbehebungskosten in Abzug bringen.

 

Nimmt der Schädiger den Austausch oder die Reparatur selbst vor, ist diesem der Mehrwert vom Geschädigten (in Geld) zu ersetzen. Fordert der Geschädigte hingegen vom Schädiger das Geld für die Ersatz- oder Reparaturkosten, ist der Mehrwert von ebendiesem abzuziehen.

 

Für die Beurteilung der Werterhöhung ist auf die ganze Sachgesamtheit (wie etwa auf ein ganzes Gebäude oder ein Fahrzeug) abzustellen, nicht aber auf das einzelne Ersatzteil. Damit kommt es für den Vorteilsausgleich darauf an, dass die gesamte Sache (durch die untrennbare Verbindung mit dem Ersatzteil) eine Werterhöhung erfährt. Eine allfällige Werterhöhung des einzelnen Ersatzteils hingegen ist prinzipiell irrelevant (vgl OGH 01.07.1982, 8 Ob 148/82).

 

Indes stellt die Rechtsprechung für die Beurteilung der Werterhöhung im Falle des Austauschs oder der Reparatur von bloß einzelnen Komponenten einer Gesamtsache auch ganz zentral auf die Lebensdauer der Gesamtsache ab und differenziert wie folgt:

 

„[…] Wird hingegen durch eine notwendige Reparatur nicht nur der vor der Beschädigung bestandene Zustand wiederhergestellt, sondern zugleich, weil dieselbe Reparatur auch ohne das schadensstiftende Ereignis später hätte vorgenommen werden müssen, über die Naturalherstellung eine Verbesserung der beschädigten Sache herbeigeführt, so besteht der Schaden nur in der Differenz zwischen dem sich ohne das Schadensereignis vermindernden Verkehrswert und dem durch das schädigende Ereignis noch weiter verringerten Verkehrswert; in diesen Fällen ist daher der Verkehrswert vor und nach der Schädigung zu ermitteln.“

 

OGH RS0030645

 

Aufs Wesentliche kondensiert heißt das für den Fall des Austauschs von bloß einzelnen Bestandteilen einer Hauptsache nun Folgendes:

 

  • Werden bloß einzelne Bestandteile einer Gesamtsache erneuert, die ohne Beschädigung vor dem natürlichen Zugrundegehen bzw Unbrauchbarwerden der Gesamtsache nicht hätten erneuert werden müssen und erfährt die Gesamtsache durch die Sanierung keine Werterhöhung, so ist der Geschädigte durch die Reparatur nicht bereichert, womit sich die Frage nach einem Vorteilsausgleich nicht stellen kann und die gesamten Reparaturkosten zu ersetzen

 

  • Werden hingegen solche Bestandteile einer Gesamtsache erneuert, die ohne Beschädigung vor dem Zugrundegehen bzw vor dem Unbrauchbarwerden der Gesamtsache ohnehin hätten erneuert werden müssen, so führt deren Erneuerung auch dann zu einer Bereicherung des Geschädigten, wenn die Gesamtsache durch die Reparatur keine Wertsteigerung erfahren hat. Das kann insbesondere bei Gebäuden und Installationen der Fall sein. Der Schadenersatzanspruch ist hier also mit der Höhe des Zeitwerts des beschädigten Bestand- bzw Einzelteils beschränkt. Oder anders gewendet: Die Höhe des Schadenersatzanspruchs ist diesfalls aus der Differenz zwischen dem (am Zeitwert orientierten) Verkehrswert des Bestand- bzw Einzelteils vor und nach der Schädigung zu ermitteln (vgl OGH RS0022726 [T5 und T6]).

 

Hiezu folgendes Beispiel:

Wird bei einem 10 Jahre alten Bürogebäude (= Gesamtsache) bloß dessen Flachdachfolie (= Bestandteil) beschädigt und unterstellte man dieser Dachfolie (aus technischer Sicht) eine regelmäßige Erneuerungsbedürftigkeit rund alle 20 Jahre (und also noch weit vor dem Untergang des gesamten Gebäudes), so ist der Schadenersatzanspruch für die Erneuerung bzw Sanierung der – bereits rund 10 Jahre alten – Dachfolie (und die damit verbundenen Nebenarbeiten) mit deren Zeitwert zum Beschädigungszeitpunkt beschränkt. Denn vereinfacht gesagt, hat die besagte Dachfolie schon die Hälfte ihrer Lebenszeit hinter sich und muss – wenngleich erst in Zukunft, so aber doch – noch weit vor dem Untergang des gesamten Gebäudes erneuert werden. Nimmt man nun einerseits die Sanierungskosten zur Herstellung einer neuen Dachfolie mit € 20.000,00 (= Verkehrswert des neuen Bestandteils) und andererseits den – an der bereits zur Hälfte verbrauchten Lebenszeit der Folie gemessenen – Zeitwert der beschädigten Dachfolie im Schädigungszeitpunkt mit € 10.000,00 an, so errechnet sich als Vorteilsausgleichs ein Abzug „neu für alt“ iHv € 10.000,00 (= € 20.000,00 – € 10.000,00).

 

Daran zeigt sich nun aber auch Folgendes: Da die Höhe des (dem Schädiger zustehenden) Vorteilsausgleichs und – umgekehrt – des (dem Geschädigten zustehenden) Schadenersatzanspruchs für gewöhnlich mit der Tatfrage nach dem Zeitwert des zu ersetzenden Bestandteils korreliert, hängt auch die jeweilige Höhe dieser Beträge von der technischen Gesamtlebensdauer des zu ersetzenden Bestandteils ab. Denn schließlich gilt: Je länger die (technische) Gesamtlebensdauer des zu ersetzenden Bestandteils, desto höher war im Grundsätzlichen dessen (restlicher) Zeitwert im Beschädigungszeitpunkt und umso höher ist der Schadenersatzanspruch des Geschädigten bzw umso geringer der Vorteilsausgleichsanspruch des Schädigers.

Conclusio

Ist die Wiederherstellung des vorigen Zustands (wie etwa der Austausch oder die Reparatur der beschädigten Sache) untunlich, also unzumutbar oder (auch nur) unwirtschaftlich, so ist sie grundsätzlich ausgeschlossen. Dem Geschädigten bleibt diesfalls (nur) die Abgeltung des Schadens in Geld. Unwirtschaftlich ist eine Naturalrestitution insbesondere dann, wenn – im Sinne eines (wirtschaftlichen) Totalschadens – die Wiederherstellungskosten den Zeitwert der beschädigten Sache im Schädigungszeitpunkt erheblich übersteigen.

 

Ist die Naturalrestitution tunlich, kommt es nur dann zu einem vollen Ersatz der Austausch- oder Reparaturkosten, wenn keine Verbesserung der beschädigten Sache eintritt und der Geschädigte solcherart nicht bereichert ist.

 

Wird die Sache durch Naturalrestitution hingegen wertvoller und erlangt der Geschädigte solcherart wirtschaftliche und also bereicherungsrelevante Vorteile, so hat er diese durch eine Zahlung an den Schädiger auszugleichen oder sich hiefür einen Abzug von den Wiederherstellungskosten (bzw vom diesbezüglichen Deckungskapital) gefallen zu lassen. Man spricht diesfalls vom sogenannten Vorteilsausgleich bzw einem Abzug „neu für alt“. Werden bloß einzelne Bestandteile einer Gesamtsache (wie etwa das Dach eines Gebäudes) ausgetauscht oder repariert, so ist für die Beurteilung der Höhe des Vorteilsausgleichs in einem ersten Schritt auf die Werterhöhung der Gesamtsache (nicht aber des einzelnen Ersatzteils) und erst in einem zweiten Schritt auf das Verhältnis zwischen der Lebensdauer der Gesamtsache und jener des ausgetauschten Ersatzteils abzustellen. Hätte nämlich dieselbe Reparatur auch ohne das schadensstiftende Ereignis später ohnehin vorgenommen werden müssen, so besteht – selbst bei Ausbleiben einer Werterhöhung der Gesamtsache – der zu ersetzende Schaden nur in der Differenz zwischen dem Verkehrs- bzw Zeitwert des Bestand- bzw Einzelteils vor und nach der Schädigung.

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